KEP-Markt I: Am falschen Ort zu tief verwurzelt - Ein Gastbeitrag in der VerkehrsRundschau
Von Flach- und Tiefwurzlern
Bei Pflanzen unterscheidet man zwischen Tief- und Flachwurzlern. Der Vorteil von Tiefwurzlern liegt darin, dass sie ein meist weitreichendes und tiefverankertes Wurzelnetz haben, wodurch sie genug Nährstoffe erhalten und sicher stehen. Der Nachteil ist, sie sind relativ unflexibel und können nur mit großer Mühe versetzt werden. Gegenteilig verhält es sich bei Flachwurzlern. Auch in der Paketbranche lässt sich beobachten, wie tiefe Wurzeln zum Problem werden können, wenn Flexibilität und neue Standorte gefragt sind.
Stationäre Filialen als Versandlager
In der bundesweiten Zustellung von Standardpaketen haben traditionelle Paketdienstleister ihre Wurzeln. Die Wertschöpfungskette beinhaltet die Abholung bei den Versendern, den bundesweiten Hauptlauf in die jeweiligen Zielregion sowie die Zustellung zum Empfänger auf der letzten Meile. Die Triebkraft für die Entwicklung der Sendungsmengen, insbesondere im B2C, ist der E-Commerce. Die Online-Händler positionieren sich zuletzt näher an ihre Kunden. Es werden Standorte in Ballungsgebieten errichtet oder sogar stationäre Filialen als Versandlager genutzt. Beispiele hierfür sind Amazon, Zalando, Media Markt, Saturn oder Rewe. Beim Versand innerhalb der Regionen verkürzt sich die Wertschöpfungskette. Erste und letzte Meile verschmelzen, während der bundesweite Hauptlauf entfällt. Im Kontext dieser Entwicklung gewinnen neue Marktteilnehmer gegenüber den traditionellen Paketdienstleistern an Relevanz. Die tiefere Verwurzelung der Traditionellen in den bundesweiten Prozessabläufen ist in diesem Szenario nicht mehr gefragt. Beim regionalen Versand verlieren sie an Schlagkraft. Kuriere, lokale Briefdienstleister oder bisherige Sub-Unternehmer sind aufgrund ihrer lokalen Wertschöpfungskette und Flexibilität besser aufgestellt und können ihre Serviceangebote entsprechend anpassen. Erste Online-Händler greifen daher direkt auf regionale KEP-Dienstleister zurück und organisieren die Logistik ohne die traditionellen Paketdienstleister. Deren Mischkalkulation und hochstandardisierte Prozesslandschaft ist nicht auf diesen Produktmix ausgerichtet.
Ein weiterer Trend im Online-Handel ist die Zunahme grenzüberschreitender Einkäufe und damit der internationale Versand und die Zustellung von Sendungen. Tarife, die Paketdienstleister für solch eine Sendung veranschlagen, sind teilweise fünfmal höher als Inlandstarife und laut Europäischer Kommission unangemessen. Neben dem intransparenten Tarifsystem haben traditionelle Paketdienstleister im grenzüberschreitenden Versand weitere Herausforderungen. Lange Laufzeiten, ein teilweise lückenhaftes Datenmanagement, z.B. im Track & Trace und die Abwicklung von Retouren sind nur eine kleine Auswahl. Mit den Mengen aus dem Online-Handel und den Möglichkeiten der Digitalisierung eröffnen sich Chancen für Plattformen über welche ein preisgünstigeres Tarifsystem, die Abwicklung des Contracting und die Verwaltung von Multi-Carrier-Diensten möglich wird. KEP-Dienstleister aus verschiedenen Ländern werden über dezentral organisierte Netzwerke international vernetzt. Innovative und schnellere Services werden durch moderne Technologien gefördert. Letztlich geben solche Plattformen kleineren KEP-Dienstleistern die Möglichkeit einen Teil der Prozesskette zu übernehmen. Die bestehende Prozesskette wird zerlegt und die einzelnen Schritte können durch eine Vielzahl an Dienstleistern erfüllt werden.
Neue Prozesse in der Zustellung
Durch die skizzierten Entwicklungen werden neue Marktteilnehmer Marktanteile erobern. Der Online-Handel erhält direkten Kontakt zu KEP-Dienstleistern auf der ersten und letzten Meile. Versandplattformen fördern, dass die traditionellen Paketdienstleister austauschbar werden. Ihre Wurzeln sind zu tief verankert, um sich schnell und flexibel anzupassen. Als Optionen bleibt ihnen diese Veränderungen und die Verschiebung der Marktanteile zu akzeptieren oder aber mit neuen Ablegern neue Wurzeln zu schlagen und in der Landschaft einen geeigneten Platz zum Wachsen zu finden. Beispielsweise bieten Versandplattformen, offene Netze und Crowdsourcing auch traditionellen Paketdienstleistern Chancen sich im neuen Umfeld einzufügen. Der Grad der Integration kann dabei variieren. Beschränkt sich die Öffnung auf die Leistung auf der letzten Meile oder werden auch Transportwege, Hubs oder Depots für weitere Spieler geöffnet.
KEP-Markt II: Darwinismus in der Paketbranche - Ein Gastbeitrag in der VerkehrsRundschau
Gemeinsam mit anderen lassen sich Prozesse verbessern und neue Services entwickeln
Der Paketmarkt verändert sich, traditionelle Dienstleister stoßen auf neue Marktteilnehmer und Anforderungen. Sowohl die neuen Wettbewerber als auch die Traditionellen haben Stärken und Schwächen in diesem neuen Umfeld. Besonders für die Traditionellen gilt aber: Anstatt weiter in Silos und unausgewogenen Kooperationen zu agieren, ist es höchste Zeit, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch partnerschaftliche Kooperationen sicherzustellen.
Innovative Kooperationen
Durch Kooperationen lassen sich Prozesse optimieren und neue Services entwickeln. Bei einem Blick über die deutschen Grenzen hinaus finden sich interessante Ansätze und Beispiele, wie innovative Kooperationen aussehen können. Als Beispiel können hier die Paketshop-Netze genannt werden. Traditionelle Dienstleister verfügen über eigene Netze und kämpfen häufig mit hohen Kosten, einem uneinheitlichen Qualitäts-niveau und hohen Fluktuationsquoten der Partner. Neueinsteiger hingegen haben Schwierigkeiten, ein solches Netzwerk aufzubauen.
Ein Problem, dessen sich ein Unternehmen im Vereinigten Königreich (UK) annimmt: Doddle betreibt anbieterunabhängige Paketshops. Die Shops liegen an strategischen Knotenpunkten, haben ein einheitliches Qualitätsmanagement und einen hohen Automatisierungsgrad. Paket-Empfänger werden unabhängig vom Dienstleister in Echtzeit per App über den Status von Paketen informiert, Prozessautomatisierung verkürzt die Wartezeiten im Shop und die kundenfreundliche Retouren-Abwicklung ist bis hin zu Anproberäumen für bestellte Kleidung durchdacht. Das Geschäftsmodell ist einfach, überzeugt jedoch durch Innovation.
Die Einnahmen der Shops stammen von Händlern (zum Beispiel für Retourenservice), Paketdienstleistern (Provision für Verkauf und die Annahme von Paketen) und den Endkunden (Paketaufbewahrung). Dies ist nur ein Beispiel, wie Ressourcen durch Kooperationen neuer und traditioneller Marktteilnehmer clever gemeinsam genutzt werden können. Erfolg versprechende Strategien ließen sich außerdem auch durch die gemeinsamen Nutzung anbieterunabhängiger Sortierzentren oder Entwicklung datenbasierter Mehrwert-dienste realisieren. Es finden sich da viele Möglichkeiten entlang der gesamten Prozesslandschaft. Es gilt, Mut zu haben und Neues zu entwickeln!
Voraussetzung sind offene Standards
In solchen Szenarien agieren Konkurrenten in ausgewählten Prozessschritten gemeinsam. Eine Strategie, die unter dem Begriff „Coopetition“ zusammengefasst wird und auch schon in anderen Branchen erfolgreich zum Einsatz kommt. Wichtige Voraussetzung hierfür sind offene Standards für Datenaustauschformate und Sendungsnummern.
KEP-Markt III: Erfolg durch gemeinsame Sprache - Ein Gastbeitrag in der VerkehrsRundschau
Ab dem 12. Jahrhundert entwickelte sich die Deutsche Hanse. Sie bezeichnet die Vereinigung von Kaufleuten in unterschiedlichen Städten, deren Ziel es war, die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen zu vertreten und die Sicherheit im Schiffsverkehr sicherzustellen. Der Zusammenschluss erstreckte sich über ca. 300 Städte im nördlichen Europa, die durch diese Art von Freihandel teils großen Reichtum erlangten.
Gemeinschaft als Erfolgsprinzip
Wesentliche Erfolgsfaktoren dabei waren die einheitliche Sprache und einheitliche Regeln im Schiffsbetrieb und im Seerecht. Offenbar war es das Erfolgsprinzip der Hanse, die gemeinschaftlichen vor die individuellen Interessen zu stellen. Der KEP-Markt ist derzeit durch Unternehmen geprägt, die überwiegend in sich geschlossene individuelle Prozessketten aufgebaut haben. Neue global agierende Player werden aktiv und brechen diese Strukturen auf. Dienstleister, die sich bisher über hermetisch abgeschlossene Prozesslandschaften definiert haben, werden in diesem Wettbewerb nicht bestehen können.
Das Erfolgsprinzip der Hanse: die gemeinschaftlichen vor die individuellen Interessen stellen.
Mehr Kooperation untereinander
Es ist an der Zeit, sich auf Altbewehrtes zurückzubesinnen. Als Antwort auf die Angebote der neuen äußerst potenten Wettbewerber bieten sich kooperative Initiativen entlang der Prozessketten an. In solchen Szenarien arbeiten unterschiedliche Dienstleister in Teilen der Prozesskette zusammen, während sie in anderen Teilen weiterhin im Wettbewerb stehen. Die Grundlage dieser Kooperationen ist der reibungslose Austausch der Versanddaten zwischen verschiedenen Dienstleistern sowie mit dem Handel. Im internationalen Versand werden die Chancen und Risiken aus dieser Zusammenarbeit schon heute deutlich. Die EU-Kommission drängt hier auf die Standardisierung, damit sich weitere Wachstumspotenziale für den E-Commerce erschließen lassen. Nicht miteinander kompatible Prozessketten der Marktteilnehmer indentifiziert sie als maßgeblichen Hinderungsgrund für mehr Wachstum im internationalen E-Commerce. Zur Förderung der Interoperabilität zwischen KEP-Dienstleistern arbeiten Händler und Logistiker, die GS1 Organisationen in Deutschland und Brüssel sowie die DIN/CEN-Organisationen an offenen Standards für Sendungsnummern, Datenaustauschformate und Paketlabels. Diese Standardisierung ist Voraussetzung für die optimale Anbindung des Handels an die Logistikketten, neue Serviceangebote und effiziente Prozessketten zu niedrigen Kosten.
Versender und Empfänger im Fokus
Globale offene Standards sind in kooperativen Modellen unumgänglich und verhelfen den Beteiligten, wie damals den Handelsstädten der Hanse, zu großen Vorteilen. Anstatt sich im Wettbewerb über möglichst proprietäre Lösungen zu definieren, rücken Versender und Empfänger in den Mittelpunkt der Geschäftsmodelle. So helfen seit Jahrhunderten bewährte Modelle auch im Zeitalter der Digitalisierung dabei, wettbewerbsfähig zu bleiben.
Dies ist der letzte Teil unserer Beitragsreihe zu den aktuellen Entwicklungen des KEP-Marktes. Wir danken der VerkehrsRundschau und dem BdKEP an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit.